Wir sind in Südostasien und haben eine unglaublich schöne Zeit. Die Landschaft, die Menschen, das Meer, das Essen: Alles ist toll und wir sind sehr glücklich!
Einzig die Verkehrsmittel. Die werden auf dieser Reise nicht mehr unsere Favoriten. Natürlich wussten wir, dass in Asien alles etwas langsamer geht und man zum Reisen oft Geduld und manchmal starke Nerven braucht. Aber so eine Odyssee gleich am ersten Tag hatten wir dennoch nicht erwartet.
Lest selbst…
Eine (Alb)-Traumfahrt im Longtailboot
Seit wir zum ersten Mal überlegt haben, nach Thailand zu reisen, war für mich klar: Ich will in einem dieser hübschen Boote fahren.
Ich meine Longtailboote. Kleine Gefährte, mit denen Fischer früher aufs Meer geschippert sind. Heute werden sie, angetrieben durch Motoren, eingesetzt, um Reisende zwischen Inseln hin- und herzufahren oder zu abgelegenen Stränden zu bringen. Die Fahrten haben nicht nur einen Nutzen, sondern machen auch einen Riesenspaß. Soweit die Theorie.
Als wir an unserem ersten Morgen in Aogang Beach in ein solches Boot steigen, um zur abgelegenen Bucht von Railay Beach zu fahren, wird aus der Theorie schnell Praxis: Trotz rauer See ist die Fahrt ein großer Spaß. Wir hüpfen über die Wellen, werden von Zeit zu Zeit durch die Gischt erfrischt und gehen nach 20 Minuten mit einem breiten Grinsen an Land.
Nach einem wunderschönen Tag am Railay Beach entscheiden wir uns am Nachmittag dann, zurückzufahren, ehe sich die am Himmel zusammen brodelnden Wolken in ein fieses Nass verwandeln. In der Regenzeit sind schnell aufkommende Gewitter immerhin nicht ungewöhnlich.
Wir gehen zur Anlegestelle, werden in ein Boot verfrachtet und schippern gemeinsam mit sechs anderen Reisenden und unserem Fahrer aus der Bucht. Kaum haben wir die Küste ein wenig verlassen, setzen die rauen Wellen vom Morgen wieder ein. Wir freuen uns auf eine aufregende Fahrt.
Wir sitzen auf Bänken entlang der Bootsseiten. Matthias, zwei junge Mädels und ein junger Mann auf der einen Seite; die Freundin des jungen Mannes, ich und zwei weitere Mädels auf der anderen.
Nur ein paar Minuten, nachdem wir losgdüst sind, wird klar, dass die Fahrt weniger entspannt wird, als die am Morgen. Um uns herum brechen hohe Wellen, Gischt spritzt ins Boot. Meine Seite trifft es besonders: Das junge Mädchen rechts von mir und ich werden zunehmend nasser.
Irgendwie ist diese Tour fast ein bisschen beängstigend. Und trotzdem amüsant. Wir lachen darüber, wie doll das Boot schaukelt. Gelegentlich schüttelt der eine oder die andere ungläubig den Kopf darüber, dass die Fahrer bei diesem Wellengang überhaupt noch ablegen. Aber niemand stellt die Fahrt in Frage. Der junge Mann am Steuer hat sein Boot unter Kontrolle. Er schippert uns sicher durch die Wellen, indem er geschickt zwischen Lenkrad und Motor hin und her greift.
Wir düsen eine Weile vor uns hin, genießen den Fahrtwind und die Erfrischung, während die Wellen zunehmend stärker werden.
„Where are you from?“
Die junge Frau neben mir schreit mich über die Wellen hinweg an. Mittlerweile sind wir beide klatschnass. „Germany. And you?“ „USA“. Sie lächelt, dann wird unsere beginnende Unterhaltung von der nächsten Welle unterbrochen. Allmählich lachen wir weniger. Man merkt, wie alle nur noch ankommen wollen.
Während ich mich erinnere, dass ich mich früher manchmal ähnlich gefühlt habe, wie jetzt – immer dann, wenn ich auf dem Rummel mit Papa zu viel Berg- und Talbahn gefahren bin – werde ich von einer weiteren harten Welle und einem lauten „Rums“ aus meinen Gedanken gerissen. Ich schaue mich um. Die beiden Mädels links von mir sind synchron von der Bank gerutscht, sitzen jetzt im Inneren des Bootes. Während eine von beiden über den Sturz lachen kann, ist der Blick der anderen starr. Sie ist kreidebleich. Offenbar hat sie Schmerzen.
Der vorher entspannt wirkende Fahrer hält das Boot an und brüllt los. Die Mädchen sollen sich zurück auf die Bank setzen. Sofort. Wir schaukeln hin und her, Wellen spritzen uns nässer als nass. Schnell wird uns allen klar, dass der Spaß endgültig vorbei ist. Der Fahrer wirkt todernst. Ich muss nicht lange grübeln, ehe ich verstehe, was das Problem ist. Ein Blick reicht: Das Gleichgewicht. Wir hängen komplett schief im Wasser.
Schnell setzt sich die eben noch Lachende von beiden wieder auf die Bank. Mit vereinten Kräften helfen wir ihrer Freundin hoch, die sichtlich Probleme hat, sich zu bewegen.
Der Fahrer versucht das Boot wieder richtig zu justieren, doch mich lässt das Gefühl nicht los, dass der uneingeplante Stop uns vom Kurs abgebracht hat. Eine Weile düsen wir weiter. Matthias fragt den jungen Mann aus den USA, ob er denkt, dass alles in Ordnung sei. „Ja“, sagt der Amerikaner. Bei ihrer Hinfahrt seien die Wellen noch höher gewesen. Er versucht entspannt zu wirken, lächelt seine Freundin schief an. Doch irgendwie kaufe ich ihm das nicht ab.
Vielleicht reagiere ich über. Aber irgendwie fahren wir auch immer weiter aufs Meer hinaus, obwohl die Bucht von Aonang schon auf unserer Höhe liegt.
Gerade, als ich mir erfolgreich eingeredet habe, dass alles in bester Ordnung ist und der Fahrer die Bucht nur anders ansteuert, hält er das Boot erneut an. In gebrochenem Englisch fragt er, ob es okay wäre, wenn er uns zu einer anderen Bucht bringe. Wir müssten dann von dort laufen oder den Bus nehmen. Er könne uns natürlich auch nach Aonang bringen, das hätten wir immerhin gebucht. Allerdings könne er bei diesen Wellen nicht für unsere und seine Sicherheit garantieren.
Ich starre ihn an und bin kurzzeitig fassungslos. Ich hatte gehört und gelesen, dass guter Service in Thailand selbstverständlich ist. Aber SO selbstverständlich, dass ein Bootsfahrer sich selbst in Gefahr bringen würde, nur um uns zur richtigen Bucht zu bringen?
Während ich den Fahrer ungläubig anglotze, sind die Jungs sich schnell einig: Zur anderen Bucht natürlich!
Wir setzen unsere Fahrt fort. Mittlerweile ist es mucksmäuschenstill im Boot. Nur das Brausen des Windes und das Rauschen der Wellen begleiten uns. Die Mädels links von mir klammern sich an den Griffen hinter der Bank fest – eine von beiden immer noch mit schmerzverzerrter Miene. Die andere hält eine der Rettungswesten, die durch das Schaukeln aus ihrem Fach gefallen ist, im Arm.
Das Paar aus den USA guckt sich einfach nur an. Und gerade, als eine weitere hohe Welle mich und das amerikanische Mädchen duscht, hält der Fahrer das Boot erneut abrupt an. Sichtlich angespannt hangelt er sich von seinem Steuerplatz am Heck des Longtailbootes nach vorne zur Spitze. Er zieht etwas Rotes aus einer Box. Ich bin verwirrt. Besorgt starre ich Matthias an und frage, was los ist. Und zum ersten Mal in sechs Jahren sagt er in einer kuriosen Situation nicht das von mir oft angezweifelte, aber immer zutreffende „Alles wird gut“. Stattdessen glotzt er mit starrer Miene zurück und stammelt „Keine Ahnung“.
Die Erkenntnis trifft mich, wie eine Faust. Das muss ein Rettungsschild sein. Quasi die rote Fahne. Wer aufgibt, zückt die weiße. Wer in Not ist, die rote. So oder so ähnlich macht das für mich Sinn. Ich werde panisch. Bin plötzlich sicher, dass wir ein ziemlich großes Problem haben.
Der Fahrer läuft zurück zu seinem Steuerplatz und wirft das rote Paket neben sich. Er fährt weiter. Und ich sehe, dass sich in dem Bündel eine Flasche abzeichnet. Also doch kein Rettungsschild. Ich beruhige mich ein bisschen. Doch während ich versuche, tief durchzuatmen, merke ich, dass meine Beine zittern. Egal, was ich tue: Sie hören nicht auf. Alle im Boot sind angespannt. Rechts von mir spekuliert das amerikanische Paar verwirrt, ob er jetzt ernsthaft nur angehalten hat, um sein Getränk zu holen.
Ich beobachte den Fahrer. Das beruhigt mich. Zumindest mehr, als der Anblick der hohen Wellen um uns herum. Er ist klatschnass. Angestrengt justiert er sein Longtailboot. Plötzlich bückt er sich. Mit einer Hand lenkt er das Boot weiter, mit der anderen entpackt er das rote Bündel. Eine Wasserflasche kommt zum Vorschein. Die Flüssigkeit ist aber nicht klar, sondern bernsteinfarben. Fast wie Rum wabert sie in der Flasche umher, nur zäher.
Schlagartig wird mir klar, was er da hat: Benzin. Natürlich. Die andere Bucht ist wegen der Wellen zwar offenbar besser zu erreichen, aber weiter weg. Ich bin erleichtert, dass wir nicht in Seenot sind, aber besorgt darüber, dass der Fahrer das Boot jetzt einhändig auf dem offenen Meer nachtankt, während er mit der anderen weiter lenkt.
Matthias Worte reißen mich aus meiner Beobachtung: „Schau mal, wir sind gleich da!“ Ich gucke nach vorne aus dem Boot und sehe die Küste ganz nah vor mir.
Fast geschafft. Nur noch ein paar Minuten. Während ich auf meine Füße schaue und die Sekunden zähle, werden die Wellen ruhiger. Der Fahrer dreht das Boot. Und ich glaube, dass man ab hier schon schwimmen könnte.
Wir steuern auf die Küste zu und plötzlich geht alles ganz schnell: Kaum aus den schlimmen Wellen heraus, lenkt der junge Mann das Boot ganz flott und ruhig an den Strand, hält an und hängt die Leiter ein. Er sieht angestrengt aus. Und müde. Aber trotzdem sehr souverän.
Wir bedanken uns. Die junge Frau links von mir wird von ihren Freundinnen gestützt, während sie das Boot verlässt. Ich vermute, dass ihr Tag heute beim Arzt enden wird. Als zweite steige ich aus, merke den weichen Sand unter mir und bin heilfroh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich wanke kurz, fange mich dann aber und stehe fest am Strand.
Adrenalin durchströmt meinen Körper. Ich bin überglücklich, dass es vorbei ist. Matthias folgt mir. Wir umarmen uns und machen uns Hand in Hand auf den Weg nach Aonang. Zu Fuß am Strand entlang. Wir überlegen, ob uns die Fahrt schlimmer vorkam, als sie war. Ob es vielleicht zu keiner Sekunde wirklich gefährlich war. Ob der Fahrer solche Situationen wohl öfter erlebt. Richtig klar wird uns das nicht…
Egal, wie es am Ende wirklich war: Wir sind erschöpft und heilfroh, gut angekommen zu sein. Und trotzdem sind wir dankbar für dieses Erlebnis. Für die lustige Schaukelfahrt zu Beginn und irgendwie auch für die Erkenntnis, dass der Fahrer uns trotz aller Umstände heil zum Ufer gebracht hat.
Für solche Erfahrungen liebe ich das Reisen. Auch wenn DIESE Portion Adrenalin nicht jeden Tag sein muss 😀
Ich hätte es zuerst nicht gedacht, aber: Ich würde zu jeder Zeit wieder eine normalerweise sehr entspannte Fahrt in einem Longtailboot machen. In nächster Zeit allerdings vielleicht eher bei ruhigerer See 😉
Hi Laura,
wow, dein Bericht war so fesselnd, dass ich fast selbst mit euch in diesem Boot saß beim Lesen. Ich liebe Südostasien und habe dort selbst schon so einige Horrortrips mit Verkehrsmitteln gemacht. Die Fahrt auf einem kleinen Longtailboot gehörte aber zum Glück nicht dazu. Ob ich den Mut hätte, nach so einer Odyssee, nochmal ist so ein Ding zu steigen…Ich weiß es nicht. Bin auf jeden Fall schon gespannt auf die weiteren zwei Akte, hihi.
Liebst
Eve von http://www.eveblogazine.com
Wow, vielen lieben Dank für deinen Kommentar 🙂
Ja, die Verkehrsmittel sind echt so eine Sache. Abgesehen davon finde ich die Reise aber wirklich toll! Land und Leute sind einfach super und das Essen auch 🙂
Liebe Grüße
Laura